CAELATURA DAEMONICUS
 

Er fuhr zurück, als er sie von der Seite anblickte, angewidert von der makellosen, jungen Haut, der noch kein Leid zugefügt worden war. Augenblicklich wußte er, was er zu tun hatte. Keine Gnade. Kein Erbarmen. Er würde seine Signatur hinterlassen. Hier und jetzt. Sein Kunstwerk schaffen und sie war das Objekt.

"Verzeihen Sie, dass ich Sie so unverfroren anspreche, aber ich bin nicht von hier und suche die Elbsteinstraße. Wissen Sie, wie ich dorthin komme?" Sie wendete den Kopf, blickte ihn an und er sah, dass er sich geirrt hatte. Jemand war ihm zuvor gekommen. Schon wieder. Verdammt. Es war schwer geeignetes Material zu finden. Die rechte Hälfte des Gesichts war entstellt. Vielleicht ein kleiner Flammenwerfer oder ein Lötkolben. Wer arbeitete mit Feuer? Domatos? Gringerius? Nein. Sie waren noch nicht lange genug dabei. Sie würden sich noch ihrer Nägel oder Werkzeugen mit Klingen bedienen. Feuer war eine hohe Kunst, wenn es um Gestaltung ging. Schwer zu kontrollieren. Ritzen und skallpellartige Arbeiten waren präziser. Für jeden Anfänger ein Muß. Die beiden schieden aus. Diese Arbeit war hochprofessionell. Er betrachtete ihr Gesicht eindringlicher, während sie antwortete.

"Tut mir leid. Hier in der Gegend kenne ich keine Elbsteinstraße. Sie müssen sich irren." "Sind Sie sich ganz sicher?" "Ja. Ich kenne mich recht gut aus. Wohne schon seit meiner Kindheit hier und wüßte, wenn es diese Straße gibt." Sie sah ihm fest in die Augen. Er versank. Trotz der scheinbar schrecklichen Erfahrung, die sie hinter sich hatte, war ihr Blick klar und offen. Sie ließ ihn eintreten. Einfach so. Ganz tief. Warum? Er entschied sich für den direkten Weg.

"Ich muss mich schon wieder entschuldigen. Darf ich fragen, was mit ihrem Gesicht passiert ist?"

"Oh, aber sicher dürfen Sie. Sie können mir jede Frage stellen, die sie wollen. Ich entscheide daraufhin, wie die Antwort aussieht. In diesem Fall, ihr Blick hielt dem seinen während der gesamten Äußerung stand, reicht es wohl, wenn ich ihnen sage, dass es ein Unfall war. Ja, ein Unfall in meiner Kindheit. Also nichts Dramatisches. Unfälle sind nie dramatisch, wissen Sie? Es sind einfach unglückliche Umstände, die einem aus Unachtsamkeit oder purer Lust des Schicksals, manchmal auch der eigenen, widerfahren. Nichts, weswegen man sich aufregen müsste."

Sie war schön. Perfekt. Die Spannung, die sich zwischen der Narbe und der reinen Seite aufbaute war grandios. Hohe Kunst in Vollendung. Und sie war sich dessen bewusst. Das konnte kein schnöder Unfall gewesen sein. Sie log. Ja, sie musste lügen. Am liebsten wäre er ihr zu Füssen gefallen, aber er beherrschte sich.

"Ein Unfall? Reine Willkür?" "Ja, genau. Warum fragen Sie?" "Weil es großartig ist. Ach was, geradezu köstlich. Das Werk eines Genies. Ich dachte jemand..." Er verstummte. Zu weit. Viel zu weit. So viel hatte er gar nicht sagen wollen. Ihr Blick änderte sich. Ihre Augen wurden schmal. "Was dachten Sie? Das mich jemand "bearbeitet" hat? Ist es das, ja?" Er gab ihr das erstaunte Gesicht.

Er konnte schauspielern. Er konnte täuschen. Er konnte manipulieren. Das war Teil des Geschäfts. Aber in diesem Fall hatte er das doch gar nicht nötig. Sie war außergewöhnlich. Ja. Interessant. Auch das. Aber war sie wirklich so selbstbewusst, wie sie sich gab? Er liebte sie. Aber zur Liebe gehörte auch Hass. Warum sollte er sie nicht ein wenig provozieren? Ihre Grenzen erforschen und sie einreißen. Das versprach amüsant zu werden.

"Nun, ich habe von einer Gruppe von Künstlern gehört, die ihre "Werke" in dieser Form herumlaufen lassen und da ihr Gesicht nahezu perfekt ist, wäre ich enttäuscht, wenn es nur die Geburt unglücklicher Umstände gewesen ist."

"Ist die Natur nicht unser größter Meister?" "In der Tat meine Liebe. In der Tat. Aber warum sollte man ihr nicht von Zeit zu Zeit ein wenig unter die Arme greifen? Empfinden Sie das als zu anmaßend?" "Keineswegs." Sie sah ihn lange an. Musternd. Forschend. Er hatte das Gefühl, dass sie jede einzelne Sehne, jede Vene und jede Muskelfaser seines irdischen Körpers analysierte. Sie studierte ihn wie einen Block Stein, aus dem man ein Kunstwerk meißeln will. Wichtiger noch. Sie versuchte in seine Seele vorzudringen, um den Punkt darin zu finden, an dem sie ansetzen konnte, damit sich alles, was daraus entstand zu einer Gesamtheit zusammenfügte. Doch was sie nicht wußte. Er hatte keine Seele. Zumindest keine Verwundbare. Sein Gesicht verzog sich kurz zu einer selbstgerechten Grimasse, bevor er sich wieder kontrollierte. Sie wollte spielen. Wie schön. In diesem Moment suchte sie erneut seinen Blick. Fand ihn. Fixierte ihn und sprach.

"Sie haben Recht. Ich habe gelogen. Kein Unfall. Keine Willkür, sondern freier Wille. Mein Wille. Ich bin die Künstlerin."

Frech. In Dreistigkeit kaum zu überbieten. Für wie blöd hielt sie ihn nur? "Sie sind also Künstlerin?" "Ich bin DIE Künstlerin." Sie wurde ungeduldig. Da war sie also. Ihre Schwäche. Eitelkeit.

"Sie wollen mich testen, nicht wahr? Aber ich kenne die Kunst der Szene und das ist eindeutig die Handschrift eines Profis. Sie sind ihm begegnet und er hat sie sich genommen. Sie zu etwas Besonderen gemacht."

"Nein. Ich bin und war schon immer besonders. Es konnte nur niemand sehen. Ich habe es geschaffen. Es sichtbar gemacht. Es ist nicht leicht, sich Anerkennung zu erarbeiten."

"Ich weiß." "Was wissen Sie?" "Wie schwer sie ist." "Wer?" "Die Kunst." "Ja?" "Ja." "Woher?" "Aus eigener Erfahrung." Er zog die Sprühdose mit der Säure hervor. Säurearbeiten waren fast so diffizil wie die mit Feuer. Man musste aufpassen, dass sie sich nicht immer weiter in das Gewebe fraß, sondern nur so weit, wie es nötig war.

"Ihr Gesicht ist perfekt. Das ist nicht zu überbieten, aber wie sieht es mit dem Rest ihres Körpers aus?" Ohne Vorwarnung trat sie ihm gezielt gegen den Kehlkopf. Er strauchelte und fiel. Sekunden später war sie über ihm. Sein Röcheln, das klickende Geräusch eines Mini-Schweißgeräts und das monotone Rauschen des sich entflammenden Gases beim Verlassen der Düse, waren die einzigen Geräusche in der Stille.

"Ernst genommen zu werden für das was man tut ist die wahre Herausforderung neben der eigentlichen Arbeit. Aber glauben sie mir. Man nimmt mich ernst. Viele nehmen mich ernst. Jeden Tag, wenn sie in den Spiegel blicken."